Wir begleiten die Land Rover Experience Tour drei Wochen durch lebensfeindliche Sandwüsten Australiens. In Zahlen: 19 Autos. 3615 Kilometer. 100 Prozent Abenteuer.
Mit Daumen und Zeigefinger zoomt John in seine Mudmap-App hinein. Doch so sehr er sich auch bemüht: Da, wo das rote Dreieck auf dem spiegelnden Display seines iPads unsere satellitenkommunizierte Position verortet, ist beim besten Willen nicht einmal ansatzweise ein Track kartiert. Dennoch ist da einer. Der Weg ist in den Außenspiegeln zu erkennen, er kommt scheinbar aus dem Nichts, führt unter dem Auto durch und verschwimmt weit vor der Motorhaube in den Hitzespiegelungen der flimmernden Luft.
Links und rechts unseres Land Rovers gibt es die nächsten paar hundert Kilometer ziemlich nichts. Mit drahtigen, fahlgelben Spinifex-Büscheln gesprenkelter roter Sand trifft am Horizont auf einen knallblauen, mit weißen Wölkchen getupften Himmel, und das war es dann auch schon wieder. Wenn du den Motor abstellst, hast du das Gefühl, der Kurbelwelle beim Auslaufen zuhören zu können, den im Zylinderkopf unter dem nachlassenden Eifer der Nockenwelle immer langsamer steppenden Hydrostößeln und dem Klimakompressor, der erleichtert aufatmet, weil er endlich nicht mehr gegen die 47 °C Außentemperatur ankämpfen muss.
Du bildest dir vielleicht auch ein, ein leises Summen zu erahnen, wenn die Steuergeräte auf Standby runtergefahren werden. Und dann hörst du eine Stille, wie du noch nie eine gehört hast. Wenn du hier ein Problem hast, gibt es zwei Möglichkeiten: Du rufst mit dem Satellitentelefon um Hilfe und hoffst, noch am Leben zu sein, wenn der Suchtrupp eintrifft. Oder du beginnst – falls du ohne Satellitentelefon aufgebrochen bist – gleich mit dem Hoffen.
Kein Track am iPad? Was für ein Luxusproblem! Der australische Landvermesser Len Beadell musste in den 1940er und 1950er Jahren noch mit Sextant und Armbanduhr arbeiten, um seine Position anhand der Sterne zu kalkulieren. Er erschloss mit seinem kleinen Team, motorisiert durch einen Land Rover Serie I, einen Bulldozer zum grobschlächtigen Entfernen des Gestrüpps sowie einen Grader zum Planieren der entstandenen Fahrspur, gewaltige 2,5 Millionen Quadratkilometer Land. Am Ende seines Wirkens zeichnete er für mehr als 6500 Straßenkilometer kreuz und quer durch das Herz des roten Kontinents verantwortlich, die er (vom sehr geradeaus trassierten Gunbarrel Highway abgesehen) vorzugsweise nach seinen Angehörigen benannte: Den Connie Sue Highway für seine Tochter, den Gary Highway und die Gary Junction Road für seinen Sohn, und den Anne Beadell Highway für seine Frau.
Straßen, die im Regelfall trotz der Bezeichnung Highway bis heute nicht viel breiter sind als unser Discovery. Wichtige Wegpunkte entlang der von ihm explorierten Trassen hatte Beadell mit Aluminiumschildern markiert, auf denen er mit Schlagbuchstaben die geografische Länge und Breite ebenso vermerkte wie Entfernungsangaben. Freilich sind im Lauf der Jahrzehnte fast alle Schilder in Sammlerhände verschwunden – wenn alle zwei, drei Monate ein Fahrzeug des Weges kommt, ist die Wahrscheinlichkeit, bei kleptomanischen Verrichtungen in flagranti betreten zu werden, durchaus überschaubar. Doch Len Beadells Kinder und die Tourismusbehörde des Northern Territory achten darauf, dass die historischen Stätten mit Replikas der Originalschilder bestückt werden. Soll uns recht sein – die Statue des David auf der florentinischen Piazza della Signoria ist auch nicht Michelangelos Original, und wird dennoch rund um die Uhr ehrfürchtig bewundert.
John kennt das Outback, seinen backyard. Eine unwirtliche Region, so groß wie Frankreich, Spanien und Italien zusammen.
Hier kommt wieder John ins Spiel (aber nicht, weil er Buonarottis Skulptur ähnlich sähe). John ist die Tourismusbehörde, ohne dass er sich seinen behördlichen Status auch nur einen Hauch anmerken lässt. John hat die permits, ohne die unsere Gruppe die von Nachfahren der Ureinwohner verwaltete Scholle erst gar nicht betreten dürfte, verhandelt. John weiß, wo man die ausgetrockneten Flussbette, die in der Regenzeit zu reißenden Strömen anwachsen, gefahrlos queren kann. John kennt sichere Furten durch Flüsse, die mit tückischen Stromschnellen gespickt sind. Und er kennt das Outback, seinen backyard. Eine unwirtliche Region, so groß wie Frankreich, Spanien und Italien zusammen. John findet ohne Mühe die aus Kostengründen aufgelassenen Outstations mitten im Nirgendwo, ehemalige Siedlungen, die heute ausgestorbene Geisterstädtchen sind.
Türangeln, die seit 10 Jahren niemand mehr geschmiert hat, quietschen sanft im Wind. Ein trauriges Stahlgebilde hinterlässt den Eindruck, es wäre einst als Klettergerüst ein Garant für fröhliches Kinderlachen gewesen. Gleich daneben erinnert ein Kreuz an den erst 16-jährigen Calwyn John: „Gone from us too far“. Autowracks, für die die Beschreibung „ausgebanelt“ lediglich ein milder Hilfsausdruck ist, korrodieren in der staubtrockenen Luft langsam vor sich hin. Hier gibt es weder ÖAMTC noch Auto-Metzger. Verwertbare Teile sind Allgemeingut. Jeder, der schrauben kann, bedient sich nach Lust und Laune, und wenn wirklich nichts mehr verwertbar ist, wird der erbarmungswürdige Rest angezündet.
Wenn du für dein morning business einen Platz erspähst, der dir zusagt, gehst du am besten in die entgegengesetzte Richtung.
John hat für jede Lebenslage Tipps parat – zum Beispiel den überlebenswichtigen, im Notfall beim Auto zu bleiben. Weil man die Karre aus der Luft recht gut sieht. Fest aufstampfen, wenn du gemächlichen Schrittes zwecks Stoffwechsels hinter die Düne gehst, ist ein weiterer. Du musst den Vipern einfach Zeit geben, sich zu verdünnisieren. Die haben nämlich mehr Angst vor dir als umgekehrt. Falls du jedoch auf sie draufsteigst, setzen sie sich notgedrungen zur Wehr, und viel giftigere Schlangen als die Australiens findest du nicht leicht. Apropos Stoffwechsel und Gruppenreise: Wenn du für dein morning business einen Platz erspähst, der dir zusagt, gehst du am besten in die entgegengesetzte Richtung. Weil die gleiche Idee wie du hatten genügend Leute bereits gestern Abend. John weiß auch, wo jene Wasserpumpen stehen, die bis heute funktionieren. Rund um eine solche schlagen wir bei Sonnenuntergang unser Nachtlager auf. Das erste Fließwasser seit vier sonnigen Tagen (und lauen Nächten, in denen es auf angenehme 35 Grad abgekühlt hatte), das nicht aus Halbliter-Plastikflaschen kommt. Jeder giert nach Abkühlung, aber nicht alle auf die gleiche Art: John und ich betrachten die Wasserschlacht aus sicherer Entfernung. Wir haben unsere Ein-Mann-Zelte, klassische australisches Swags, aus dem Kofferraum des Autos geholt und ganz traditionell im Schatten einiger Eukalyptus-Bäume aufgebaut. Noch während ich die zwei bequemen Klappsessel aufstelle, auf dass wir nach zwölf Stunden Autofahrt endlich einmal ein bisschen sitzen können, höre ich bereits hinter mir das charakteristische Knacken unserer Schätze aus der Kühltruhe im Kofferraum: XXXX Gold Full Flavoured Australian Lager, einstellig temperiert. Keine Frage: Ohne John wäre das Outback wirklich ein lebensfeindlicher Ort.
Fotografie für Land Rover Experience
Reportage für das 4wd Magazin, den Allradkatalog und die NÖ Nachrichten