Der Mann hinter dem Denzel-Alpenstraßenführer

Wenn dein Familienname als Synonym für das Standard-Druckwerk der Alpenstraßen steht, erbst du nicht nur einen enormen Fundus an Basiswissen und ein gewaltiges Fotoarchiv, sondern auch eine einzigartige Aufgabe. Wir treffen den Mann hinter der „Bibel“ zum Gespräch.


„Die zunehmende Motorisierung des Ferien-Reisepublikums läßt es angezeigt erscheinen, einen verläßlichen Führer durch Gebiete der Alpen herauszugeben, die dem Touristen mangels an Verkehrsmitteln bisher kaum zugänglich waren.“

Eduard Denzel

Mit diesem Anspruch erblickte der Autoführer der Hochalpenstraßen im Mai 1956 das Licht der Welt. Der Bau des Parkhauses am Freiwandeck des Großglockners hatte wenige Monate zuvor begonnen, die Mautstelle in Fusch hatte noch eine (also: 1) Kasse. Die Erkundung von reizvollen, kuriosen und vor allem wenig bekannten alpinen Zielen trieb Eduard Denzel und seinen Fiat 600 (und die nachfolgenden Autos) die 32 folgenden Jahre unermüdlich an.

Seit 1988 ruht die Aufgabe, einen von Auflage zu Auflage besseren, detailreicheren – und stets durch eigene Erkundungsfahrten aktuellen – Großen Alpenstraßenführer zu schaffen, in den Händen seines Sohnes Harald. Vaters Motto „Man beschreibt nur, was man selbst gesehen hat“ setzt er seither im Sattel einer BMW R 80 G/S oder hinter dem Steuer seines Suzuki Jimny um. Kurze Kopfrechnung: Mittlerweile hat auch Denzel Junior mehr als drei Jahrzehnte Gebirgs-Erfahrung am Tacho.

Harald Denzel

Ein zumindest abschnittsweise staubfreier Belag wurde in der Erstausgabe beispielsweise für das Stilfser Joch, den Rohrer Sattel und den Rollepass vermeldet, der steile Wurzenpass war eine Sandstraße, und die Turrach mit ihrem legendären 34-Prozent-Abschnitt beim 60er-Kilometerstein grob geschottert. Die Schwierigkeitsgrade nach Denzel vorab mit dem eigenen Fahrkönnen zu vergleichen und die siebenseitige Anleitung zum richtigen Pässefahren zu beherzigen war also eine lebenserhaltende Maßnahme. Seither hat sich nicht nur im Straßenbau jede Menge getan: „Mein Vater hatte fünf Mitarbeiter, heute ist der Verlag eine One-Man-Show“, lacht Harald. „Fotoentwicklung in der Dunkelkammer, Textfahnen in die Setzerei bringen?“ Er tippt mit dem Zeigefinger auf sein Notebook: „Macht alles der Computer.“

Der größte Teil der Arbeit klingt freilich nicht nach solcher: Als wir uns den Termin für unser Kennenlernen ausgemacht hatten, war Harald gerade in den Westalpen auf Außendienst. (Apropos: Den Namen Ligurische Grenzkammstraße hat Denzel Senior erfunden.) Drei Wochen Bestandsaufnahme, die in sachlich formulierten Texten Eingang finden. Ein Sachbuch, kein Roman. Von Mai bis November ist Harald möglichst viel draußen, aber den ganzen Alpenbogen kann auch ein Denzel nicht jedes Jahr abfahren. Stammleser unterstützen mit Bildern von deren Reisen, melden Streckensperrungen und geben Anregungen für neue Ziele – als wertvolle Tipps für Haralds eigene Touren: Man beschreibt nichts, wo man nicht selbst war.

Die 27. Auflage hat 624 eng bedruckte Seiten, zahlreiche Fotos und Skizzen für rund 700 Ziele zwischen dem Semmering und der Côte d’Azur – das heißt auch: fast ein Kilo Papier. An der Frage, wie sich die Digitalisierung auf das Lebenswerk der beiden Denzels noch auswirken könnte, kommt man nicht vorbei. Fast bedauernd winkt Harald ab: Um digitalen Mehrwert zu schaffen, der den unüberschaubaren Gratis-Content des Internets hinter sich lässt, müsste man mit viel mehr Manpower loslegen, als der kleine Innsbrucker Verlag hat, und Investitionen vorstrecken, die bei der letztendlich doch kleinen Zielgruppe der sportlich-touristisch eingestellten Auto- und Zweiradfahrer nicht zu verdienen sind.

So wird „Der Denzel“ ein gedrucktes Buch bleiben, um – ganz im Sinne seines Erfinders – einerseits vor Antritt der Reise geeignete Vorstellungen zu vermitteln, andererseits die Erinnerung an die grandiosen Eindrücke einer Alpenfahrt wachzuhalten.

Interview und Fotos für das Motorradmagazin