Ein Rundgang durch eine Sammlung, die weltweit absolut einzigartig ist. So einzigartig wie viele der Ausstellungsstücke selbst.
Adrienne Dines hat es sich gemütlich gemacht. Die Autorin und Sprachlehrerin sitzt auf der Stoßstange ihres Autos, lehnt gemütlich am Gitter des Kühlergrills und betrachtet entspannt den flüssigen Sonnenschein, der sich gerade über Dunsfold im Borough of Waverley, Surrey, ergießt, als sich eine Freundin zum Tratschen neben sie setzt. Glücklicherweise haben sie (und wir) es rechtzeitig unter das schützende Zeltdach geschafft. Und eigentlich ist es nicht ihr Auto, wie Adrienne erzählt. Denn ihr Gatte Tim, der sich gerade mit anderen Buben fortgeschrittenen Alters über Autos unterhält, hatte den Land Rover einst gekauft. Er stand einsam und verlassen in einer modrigen Scheune, die nur deswegen nicht in sich zusammenfiel, weil ein morscher Steher nur mehr von selbigem Auto in der more-or-less-Vertikalen gehalten wurde.
200 Pfund hatte der bedauernswerte Zustand auf Rädern vor mehr als drei Jahrzehnten gekostet. Die (nur kurzfristig und beschränkt erfolgreichen) Sicherungsversuche der örtlichen Feuerwehr beim Bergen des Mobils dürften zumindest die gleiche Summe verschlungen haben. 200 Pfund, selbst mit aktuellem Währungskurs und Berücksichtigung der Inflation eine Mezzie. Der alte Besitzer wusste sichtlich nicht, was er da verkauft. Tim wusste hingegen, was er erwirbt: R.03, den dritten Wagen aus Land-Rovers 48 Stück umfassenden Vorserie.
R.01 parkt gleich daneben: Das pre-production car mit dem Kennzeichen HUE166, besser bekannt als „Huey“, die lebende Legende. Und in die andere Richtung geht es ähnlich weiter, 13 der ersten 20 Landys feiern mit ihren aktuellen Besitzern hier in Dunsfold, ziemlich exakt auf halber Strecke (aber keineswegs halber Fahrzeit!) zwischen Londons Stadtzentrum und Portsmouth gelegen, eine Art Klassentreffen. Während üblicherweise nicht übertrieben modeaffine Herren der Schöpfung einfachen Farbnamen den Vorzug geben (Beispiel: Braun) und kreativen Nuancierungen (Beispiel: Schilf, Muschelkalk, Cognac, Espresso, Gebrannte Siena, Whisky, …) abhold sind, nimmt man es hier wirklich genau. Denn das Light Pastel Green der ersten Serienmodelle ist halt eine andere Farbe als das Aircraft Cockpit Green der Vorserie oder das Grasmere Green des aktuellen Celebration Modells der in Kürze endgültig auslaufenden Traditionsbaureihe. Wo an den Türen Hohlnieten zu verwenden sind und wo Halbrund-Nieten sitzen, gilt beim fachkundigen Publikum als bekannt, und dass die Köpfe der Nieten nicht lackiert sein dürfen sowieso. Restaurierung auf hohem Niveau also.
Keinen Schutz vor dem typisch englischen Wetter genießt hingegen das 1968 Land Rover Series 1 88″ Ceremonial and Parade vehicle aus dem Fuhrpark der in Deutschland stationierten British Army on the Rhine. Strömender Regen ergießt sich über weiß gepolstertes Gestühl, das einst der die Sicherheit der Regentin gewährleistenden Reisebegleitung vorbehalten war.
Lilibeth herself bzw. ihre Queen Mum wurden bei Staatsbesuchen in den 70er- und 80er Jahren hingegen mit dem zweiten Wagen der Sammlung chauffiert, dem mit Heckzustieg und Bügel zum Festhalten. Und sich festhalten ist definitiv kein Fehler, wie bei der Proberunde erfahren werden kann. Die typische Sitzposition – Pedalerie und Lenkrad nicht in einer Linie – erweist sich subjektiv wegen des beschränkten Beinraums als vorteilhaft, denn durch das schiefe Sitzen bringt man lange Haxen vielleicht nicht unbedingt besser, aber auf jeden Fall weniger schlecht unter. Der Lichtschalter verweist mit seinen zahlreichen, von den Bedürfnissen des Straßenverkehrs abweichenden Einstellungen auf die militärische Vergangenheit hin. Der Anlassvorgang ist halbwegs modern: Schlüssel drehen, Startknopf drücken. Das Schalten weniger: Doppelkuppeln und Zwischengas. Damit die Kronjuwelen der Königin (und die des Prinzgemahls) nicht zu sehr geschüttelt werden, gibt es auch einen rastbaren Handgas-Hebel für konstante Geschwindigkeit. Parademodus. Und falls Ihnen die Spiegel und die Radkappen bekannt vorkommen, haben Sie ein gutes Auge: Die stammen nämlich – Sie erinnern sich, die Fahrzeuge waren in Deutschland stationiert, und Original-Ersatzteile entsprechend weit weg – vom VW Käfer.
Die nächste Proberunde machen wir mit einer Range Rover Vorstufe, die nicht wirklich so aussieht wie ein Range Rover. Der blaue 1967 Series 11A 88″ Land Rover ist das einzige erhaltene von einst drei Erprobungsfahrzeugen, mit denen der Buick V8 auf seine Verwendungstauglichkeit geprüft wurde.
Soundcheck: Klingt großartig. Geänderte Differenzialübersetzungen, größere Bremsen rundum und Radialreifen waren die erforderlichen Anpassungen am Wagen – und eine Motorhaube, die leicht zu öffnen ist: Nach jeder Proberunde lassen die Hüter des Schatzes die warme Luft direkt nach oben entweichen. Im Anschluss an die Erprobungsfahrten wurden die drei Testfahrzeuge noch am Werkstestgelände in Gaydon als Zugmaschinen eingesetzt.
Auch der beige Defender mit weißem Hardtop, ein 110″ Vorserienfahrzeug aus 1980, ist ziemlich selten: Ganze fünf Stück gibt es noch aus dieser Serie von rund 25 Erprobungsträgern. Der rote Defender 90 NAS (North American Specification mit V8-Benziner und Viergang-Automatik) wurde 1995 im Werk zurückbehalten, um allfällige Garantiefragen klären zu können. Zudem wurde er für Abgasmessungen eingesetzt.
Sie sehen: In Dunsfold schlägt ein Herz für Sonderlinge, genauer gesagt: es schlagen drei Herzen. Philip Bashal, Richard Beddal und Gary Pusey sind die Hüter des verborgenen Schatzes, der alle zwei Jahre das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Fans der Marke schlendern bei den Dunsfold Open Days entlang der (in zwei Wochen Arbeit!) sorgsam ausgerichteten Fahrzeuge, posen für Selfies mit dem Pink Panther D (1968 Series 11A 109″ für SAS-Operationen im Oman), Lara Crofts Dienstwagen (eines der beiden originalen Film-Autos, nicht die regulär im Handel erhältliche Sonderserie auf Basis des 90ers oder des 110ers) oder Josephine (1948 Series 1 80″, seit 1988 Richards Liebling – davor stand der Wagen nach dem Tod seines Besitzers 26 Jahre lang unbeachtet in einem Schupfen). Auch Clubs, Fachmagazine und Zubehörhändler sind am Ausstellungsgelände präsent, ähnlich wie bei der Allradmesse im Wienerwald – nur halt markenexklusiv. Das einzige, was es an den beiden Publikumstagen nicht gibt, sind fahrende Autos. Genau deswegen sind wir am letzten Aufbautag angereist.
Viele Schätze der Firmengeschichte stehen heute – in Sichtweite der Firmenzentrale in Gaydon – im British Heritage Motor Center oder eben hier in Dunsfold. Die freundschaftlichen Kontakte erkennt man nicht nur daran, dass sich Land Rover beispielsweise für die Party zum 65. Geburtstag von Land Rover (Wahnsinnsausstellung auf Packington Estate!) oder für das silberne Jubiläum des Discovery (schwimmender Disco im Genfer See!) ein paar mobile Raritäten ausborgen durfte, sondern auch an den jüngeren Ausstellungsstücken. Der „halbierte“ Disvcovery – auf der einen Seite stadtfein, auf der anderen ready für die Camel Trophy – ist so ein jüngeres Unikat. 1994 wurde er für Showzecke aufgebaut; das zweite, spiegelverkehrt aufgebaute Auto dürfte in der Schrottpresse gelandet sein. Ein Schicksal, das vielen Prototypen am Ende ihres Einsatzes bevorsteht, wenn nicht rechtzeitig ein Plätzchen im Dunsfolder Gnadenhof gefunden wird.
Somit lässt sich in der größten Land Rover-Sammlung der Welt auch der Werdegang der neusten Modelle nachvollziehen. Beispielsweise mit dem Range Rover Sport, der aus der Entfernung ganz echt, aus der Nähe aber ein bisserl mickrig aussieht – weil er ein Freelander in Tarnkleidung ist.
Quasi als Revanche parkt daneben ein Range Rover Sport, der seine ersten Kilometer als Freelander verkleidet erleben durfte. Die frühen Prototypen künftiger Serienmodelle fahren nämlich als neuer Wein in alten Schläuchen herum, neue Technik in mehr oder weniger elegant angepassten Karosserien bestehender Modelle, mitunter sogar von fremden Herstellern. Die für diese Konstruktionen übliche Bezeichnung „Muletto“ oder „Muli“ erinnert nicht ohne Grund an das Kind einer Pferdestute und eines Eselhengstes – der Begriff „Hybrid“ war ja schon für ein anderes automobiles Zwitterwesen vergeben. Manchmal ist halt die Spur ein bisserl breiter, oder der Radstand ein bisserl länger. Wie beim mit gescheckter Tarnfolie beklebten Evoque Long Wheel Base, Jahrgang 2012, mittlerweile als Discovery Sport im Einsatz. Aus der Abteilung „Tarnen und Täuschen“ kommen auch die angeschraubten Plastikabdeckungen, die die eigentliche Karosserie entweder verdecken oder ersetzen sollen, je nachdem, wie fertig die Konstruktion schon ist.
Ein besonderes Gustostückerl der Bastelabteilung steht am Ende der hintersten Reihe. Der schwarze Range Rover diente als Erprobungsträger für seinen seit 2012 aktuellen Nachfolger und wurde danach auch gleich für den aktuellen Range Rover Sport verwendet – aber nicht nur bei Land Rover, sondern auch einem wichtigen Zulieferer: Der Zahnradfabrik Friedrichshafen. Für die Abstimmung des Automatikgetriebes. Das erklärt dann auch die ungewohnte Anmutung des Cockpits: Im Innenraum finden wir das Armaturenbrett des alten Range Rover, ein Evoque-Lenkrad, das neue Terrain Response 2 Auto in der Mittelkonsole – und dazwischen einen BMW-Schalthebel, der bei ZF damals gerade herumgelegen ist.
Fotografie und Reportage für den Allradkatalog