Spanien: Straßen mit Geschichte

Eine Motorradreise durch einige der schönsten und kulturell reichsten Regionen der iberischen Halbinsel. Am Programm stehen Städte des Weltkulturerbes, menschenleere Straßen durch blühende Naturparks, zwei Schriftsteller und viele, viele Kurven.


Mit einer manifesten Portion Realitätsverlust beginnen die Wagnisse des verarmten Landadeligen. Begleitet von seinem treuen Schildknappen reitet er aus, um das Unrecht zu besiegen und die Zuneigung einer Frau zu gewinnen – zwei Unterfangen, bei denen der „Ritter von der traurigen Gestalt“ nicht gerade vom Glück begünstigt ist. Die vor 400 Jahren von Miguel de Cervantes zu Papier gebrachten Abenteuer des Don Quijote de la Mancha zählen zu den prominentesten Werken der Weltliteratur; sein „Kampf gegen die Windmühlen“ wurde zur Metapher für vergebliche Anstrengungen gegen imaginäre oder unüberwindbare Gegner.

Eine der bekanntesten Darstellungen der beiden Gefährten ist eine Tuschezeichnung von Pablo Picasso. Der Künstler erblickte in Málaga das Licht der Welt, und ebendort beginnt auch meine Reise, die mich von Andalusien bis nach Katalonien führen wird. Nach einem Besuch des Picasso-Museums, seines Geburtshauses und der Kathedrale checke ich bei Hispania Tours ein und fasse eine 1250 GS Adventure aus – meine Rosinante für die kommende Woche.

Nach zwei außerordentlich schräglagenreichen Tagen gönne ich mir die fahrtechnische Abwechslung, denn zum genussvollen Motorradfahren ist die Mancha de facto zum Vergessen. Lange, gerade Strecken entlang von Getreidefeldern und Weinreben, letztere jedoch in der Größenordnung „Plantage“, nicht „Weingarten“. Mein Ziel ist ein Hügel bei Consuegra, eine knappe Stunde von Toledo entfernt. Zwölf Windmühlen und eine ursprünglich maurische Festung zieren den Cerro Calderico, die Einser-Sehenswürdigkeit des Ortes, wenn nicht gar der gesamten Don Quijote-Touristenroute.

Die dichte Abfolge von Kurven, Weltkulturerbe und Kaffeepausen macht unsere Reise durch Spanien zum genussvollsten Geschichtsunterricht, den man sich vorstellen kann: Das gewaltige römische Aquädukt von Segovia. Die Casas Colgadas von Cuenca, an den steilen Kalkfelsen der Schlucht des Rio Huécar hängende Häuser aus dem 14. Jahrhundert. Und natürlich das prächtige Zaragoza. Wir wandern durch die Casa de Alfonso, eine Fußgängerzone der Altstadt, die direkt zur Kuppel der Basílica del Pilar führt. Ein Bier hier, ein Snack dort, dann erreichen wir den Platz vor der Kirche – und sind ob der gewaltigen Abmessungen der größten Barockkathedrale Spaniens sprachlos.

Noch beeindruckender und seit Jahrhunderten in jedem Sinn des Wortes absolut „real“ ist der „Königliche Sitz des heiligen Laurentius von El Escorial“, erbaut von Philipp II.. Die Klosterburg war dereinst nicht nur Königsresidenz, sie ist auch bis heute deren Grablege. Exakt unter dem Hauptaltar der Basilika werden die Sarkophage in einer Art Hochregal, wenngleich prunkvoll in schwarz-gold gehalten, übereinandergestapelt.

Der letzte Fahrtag führt uns bis in die Ausläufer der Pyrenäen. Die schneebedeckten Gipfel kommen immer näher (oder eigentlich wir ihnen), bis unsere Route mit einer harten Rechtskurve Richtung Barcelona abzweigt. Viel zu früh stehen wir am Tibidabo, hoch über dem Häusermeer. Wir sehen die beiden charakteristischen Hochhäuser am olympischen Hafen, die Baukräne der Sagrada Familia und den Turm der Wasserwerke, dahinter das glitzernde Mittelmeer. Schweren Herzens klappe ich wenig später den Seitenständer von Rosinante aus und tausche den Schlüssel der GS gegen eine gut gekühlte Dose Estrella.

Fotografie und Reportage